Nachbilder | Deutsch
Florian Adler, 2015
NACHBILDER
Man kann sagen, dass die Grafik im gegenwärtigen Zeitalter einen schweren Stand hat. Die einstige „Mutter der Künste“ wird bei den Zusammenkünften auf den Familienfesten der Kunst meist wenig beachtet. Doch wie es sich so oft mit jenen zuträgt, die nurmehr am Rande des Blickfelds leben,
so drängt auch die Grafik sich umso stärker ins Bewusstsein, je abseitiger sie steht.
Im Laufe der Zeit hat unsere Mutter der Künste beständig gewechselt. Und sich durch diesen Wechsel als wandlungsfähiger erwiesen als einige ihrer weit jüngeren Nachkömmlinge. Dabei war ihr die Vielfalt bei der Geburt nicht in die Wiege gelegt: Geboren unter der hellen Sonne des Mittelmeers, hat der feine Staub des Marmors im Lauf der Jahrhunderte die Gerüche aller Zeitalter angenommen.
In der Gegenwart angekommen, erweitert sich sein blumiges Bukett abermals: Um die Dünste von Siebdruckfarben, Druckerpressen oder aber digitaler Druckverfahren, die Lola Läufer als Grundlage
für ihre Aktualisierung der Grafik dienen; einer Grafik, die sich freilich so vollkommen in die matten Platten einschreibt, dass nicht der leiseste Dufthauch aus dem Produktionsprozess zu uns dringt,
die wir ihre Arbeiten betrachten.
Überhaupt scheinen die Werke unauffällig entrückt, den Kräften ihrer Entstehung und den Beding-ungen ihrer Präsentation enthoben; die Kraft, mit welcher die alten Griechen den Meißel in den Stein trieben, scheint gebannt, geradezu entmaterialisiert. Die Schläge des Hammers sind vor der opaken Glätte unseres Zeitalters verstummt; an ihrer statt summt eine Phalanx aus Patronen leise im Takt. Unter ihren regelmäßigen Bahnen erblühen irisierende Farbgewebe, unter ihrem Schlingern verknoten sich die Netze in wildem Tanz. Sie sind die Spieler auf dem Feld der Seide, indem sie sie berühren
und durchdringen.
Dies ist ein in höchstem Maße zeitgenössischer Ansatz. Greift er doch auf das Credo aktueller Bildgebungsverfahren zurück: Wer erschaffen will, braucht nicht mehr das Material anzugreifen;
er transformiert es durch Überlagerung, greift am Bild selbst an, schöpft aus seinem Fundus an Bildmaterial und generiert unablässige Pixelstürme. So wenig, wie uns diese Drucke von der Kraft einer meißelnden Hand verraten, so wenig zerstören sie das Material, das ihnen gegenübersteht.
Der Marmor ist zur Seide geworden.
Die Tinte dringt nicht tiefer als in die dünnen Fahnen ihres Trägers und lagert sich in strahlenden Bahnen von so eindringlicher Leuchtkraft, dass man sich fragt, ob das Ausgangsobjekt je ein solches Strahlen besessen haben mag. Das entstandene Nachbild: Es überstrahlt, was ihm vorausging.
Lola Läufer hat, um im Bilde zu bleiben, den antiken Meißel aus der Hand gelegt. Ihre Bildschöp-
fungen balancieren unablässig auf der Grenze von Gestaltung und Bewahrung. Eingeschlossen in transparenten Bernstein, führen sie uns Motive vor Augen, die uns vertraut scheinen. Es sind ephemere, nicht selten verzerrte, gebrochene und kühn addierte Bilder, vorzugsweise aus dem Fundus von Architektur, Technik und geometrischen Strukturen. Sosehr sie sich aus der Realität speisen,
sind sie doch einzig dem freien Spiel der Linien und Flächen verpflichtet. So laufen sie in ihren
gekrümmten wie fließenden Flächen der strengen Tektonik der Präsentation entgegen und gewinnen ein Eigenleben von eindrücklicher Dynamik.
Dass wir in der Vielfalt des Dargebotenen einen unverwechselbaren Duktus erkennen, spricht
für die künstlerische Eigenständigkeit des Gezeigten. Und stets meinen wir dabei eine Handschrift auszumachen, wenngleich sich deren Ursprung im Nebel des Glases verliert: Wir können nur ahnen, dass sie sich ebenso der Künstlerin selbst wie den Konfigurationen der ausführenden Maschinen verdankt. In manchen Werken scheint der Wunsch nach Bergung besonders intensiv auf. Als gälte es, das Rohmaterial des Sichtbaren vor der Gefährdung des Vergessens zu bewahren, der drohenden Finsternis zu entreißen, indem man es den Unwägbarkeiten der Druckverfahren überantwortet und
im weichen Fluss des Plexiglases einfriert, wo es uns entgegenleuchtet wie Tintenspuren im Schnee.
Florian Adler